Fotofilme

FOTOFILM – MAN DENKT IN ABFOLGEN

Gerd Roscher im Gespräch mit Leonore Mau (2006)

Gerd Roscher (GR): Es ist etwas ganz Unge­wöhnliches, dass zwei Künstler gemein­sam arbeiten, aber doch jeweils ihr eigenes Terrain haben, sich dann absprechen, zusammentun. Wie kann ich mir eure Kooperation, die Zusammenarbeit zwischen Hubert Fichte und Dir, vorstellen? Wie sind die gemeinsamen Fotofilme entstanden?

Leonore Mau (LM): Als wir hier bereits eine Weile wohnten, waren wir im Übersee-Club zu einem großen Essen eingeladen. Da saß uns ein Ehepaar gegenüber, das uns ins Gespräch zog und plötzlich sagte die Frau: »Sagen Sie mal, wo wohnen Sie eigentlich?« Da haben wir geantwortet: »Wir wohnen in der Dürerstraße 9.« »Was«, sagte sie, »wir wohnen Nummer 8.« Direkt in dem Haus gegenüber. Der Mann war der Film­chef vom NDR. Sie luden uns zu einem Abendessen ein und dann fing der Mann, Reinhard Hagen, an, darüber zu sprechen, dass er gerne mal Fotofilme senden würde. Hubert sagte, »Fotofilme. Machen wir so­fort.« Ohne mich zu fragen. Ja, und dann haben wir lange darüber zuhause geredet. Ich hatte keine Ahnung, wie so ein Fotofilm technisch entsteht.

Dann fuhren wir nach Griechenland zu einem Kurzurlaub. Am vorletzten Tag aßen wir etwas Falsches und Hubert bekam eine ziemlich schwere Hepatitis. Der Arzt hat ge­sagt: »Sie können durchaus reden so viel wie Sie wollen, aber nichts Körperliches tun. Sie müssen im Bett bleiben oder ins Kranken­haus gehen.« Und dann hat der Hubert mich gefragt: »Willst du mich pflegen, d. h. jeden Tag Kartoffelbrei kochen?« Ich werde nie wieder in meinem Leben so viel Kartoffel­brei kochen. Aber gut, ich machte das. Dabei haben wir dann über den Film geredet. Er hat gesagt: »Du brauchst ungefähr 500 Fotos für einen zwanzig Minuten Film. Ja, du kannst jetzt jeden Tag losgehen. Ich kann hier auch alleine im Bett liegen und wenn du zurückkommst, kochst du mir Kartoffelbrei.« So haben wir das dann gemacht: Wochenlang bin ich morgens los. Fotografiert habe ich die Umgebung von Hafenarbeitern, die keinen regelmäßigen Job haben und jeden Morgen zur »Auktion« gehen. Das sind wirklich arme Würstchen, weil sie unter Umständen morgens da hin gehen in der Hoffnung, heute krieg ich einen Job. Aber das passiert eben nicht immer. Schließlich hat mir der Leiter dieser Stelle gesagt: »Bitte kommen Sie nach der Auktion mit in mein Arbeitszimmer. Denn die mögen nicht, wenn während der Auktion fotogra­fiert wird, die werden da aggressiv.« Eine halbe Stunde habe ich beim Chef gesessen und danach hat er mich auf die Straße begleitet. Dann fing meine Arbeit an, solche Leute mal richtig kennen zu lernen und zu sehen, wie die wohnen.

Eine Frau hatte gerade ein Baby bekommen und der Mann verabschiedete sich morgens. Die wohnten wirklich zum Teil sehr ärmlich. Ich bin immer wieder in diese Gegenden gelaufen und hab‘ die Häuser aufgenommen und die Leute, die zum Einkaufen gingen. Und dann in den Hamburger Hafen. Da habe ich mir gesagt, ich muss mit ihnen mitfahren, zu so einem großen Schiff. Aber wie komme ich da hin? Die freuten sich, dass jemand mitkommt. Ich bin mit denen in so einer alten verrosteten Barkasse zu einem großen Schiff gefahren. Wie ich angekommen war, sollte ich auf das Schiff rauf, auf so einer verrosteten, alten Leiter; hier baumelte eine Kamera hinten, da baumelte eine vorne. Mich packte das heulende Elend. Aber ich hab‘ gedacht: Ich hab‘ das einmal angefangen und Kartoffel­brei muss ich auch noch kochen. Ich bin dann diese rostige Leiter hochgestiegen. Oh Gott, da hatte ich wirklich eine wahnsin­nige Angst. Ich bin nicht schwindelfrei. Aber auf einmal war ich in dem Schiff, zwischen Zuckersäcken und ich weiß nicht, was da noch alles war. Dann war ich auf einmal bei der Arbeit und das hat mir richtig wohl getan. Ich mochte das gerne. Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich da auf dem Schiff war, auf einmal dachte ich, du musst ja auch wieder runter. Aber das habe ich dann auch geschafft, ohne in die Elbe zu fallen.

GR: Sind eigentlich die Filme in der Regel so entstanden, dass deine Fotos bereits vor­lagen und Hubert dann nachträglich den Kommentar geschrieben hat? Oder gab es auch manchmal von ihm Vorgaben, etwa: Mich interessiert das und jenes, darüber würde ich gerne auch eine Passage haben?

In dem Portugalfilm Der Fischmarkt und die Fische (D 1968) denkt man: Bestimmte Dinge muss er schon im Auge gehabt haben.

LM: Ja. den Portugalfilm habe ich mit einer wahnsinnigen Begeisterung gemacht. Das war alles mein. Das gehörte beinahe alles mir. Ich konnte auf Knien rutschen und den Fischen die Kamera ins Maul halten. Es war ganz anders als beim ersten Film [Der Tag eines unständigen Hafenarbeiters (D 1966)]. Dort hatte ich zunächst keine Ahnung, was ich da eigentlich alles fotografieren sollte. Aber Hubert war sehr animiert. Er fand das ganz toll, hat dann den Text geschrieben und der Film ist ge­zeigt worden. Auch die Leute im NDR fanden das sehr schön und sagten dann: »Wenn Sie wieder ein Thema finden, machen Sie das einfach«. Und das Thema war Portu­gal, das waren die Fische.

Ohne Titel (Hafenarbeiter mit Lebensmittelsäcken), 1966
© bpk / S. Fischer Stiftung / Leonore Mau

Fischmaul, 1964
© bpk / S. Fischer Stiftung / Leonore Mau

Ohne Titel (Auf der Spanischen Treppe), 1967/68
© bpk / S. Fischer Stiftung / Leonore Mau

Ohne Titel (Straßenszene in Agadir), 1970
© bpk / S. Fischer Stiftung / Leonore Mau